Cogitate! – Konzert unter dem Motto „Alles Schicksal!?“ regt zum Nachdenken an
von on März 12, 2023 in Konzerte

 

Den Begriff „Schicksal“ definiert eine bekannte Online-Enzyklopädie als der Ablauf von Ereignissen im Leben des Menschen, die als von höheren Mächten vorherbestimmt (geschickt) oder von Zufällen bewirkt empfunden werden, mithin also der Entscheidungsfreiheit des Menschen entzogen sind. Eben dieser Thematik widmete sich das Konzert des Meisterchors proVocal Münzesheim mit dem Sinfonieorchester der Dualen Hochschule Baden-Württemberg unter der Leitung von Matthias Böhringer am 05. März 2023 in der Lutherkirche in Bruchsal.

Wie viel Neugierde das Konzept hervorgerufen hatte, zeigte der enorme Andrang an den Kassen; sehr zur Freude aller Mitwirkenden füllte sich die Lutherkirche bis zum Anschlag.

Den Einstieg bildete das Schicksalslied von Johannes Brahms. Einfühlsam und berührend gestaltete das Orchester das Vorspiel. Mit vollem Klang und doch textverständlich stimmte sodann der Chor ein und stellte sanft und voller Sehnsucht die Welt des Göttlichen dar. Der Mittelteil des Werkes dagegen behandelt das leidvolle Dasein der Menschen auf der Erde mit gewaltigen Bläsern und zahlreichen Läufen in den Streichern. Ausdrucksstark und fein in der Dynamik agierte der Chor, bevor das Werk schließlich versöhnlich mit den Motiven des Anfangsteils durch das Orchester ausklang.

Es folgte eines der wohl bekanntesten Werke der Musikgeschichte: Ludwig van Beethovens fünfte Sinfonie, auch bekannt als „Schicksalssinfonie“. Beethovens Privatsekretär zufolge habe der Komponist auf die Frage nach der Inspiration für das Eingangsmotiv geantwortet: „So pocht das Schicksal an die Pforte“. Bereits der Beginn des ersten Satzes mit dem bekannten „Schicksalsmotiv“ gelang dem Orchester mitreißend und in der Folge wechselten sich die feinen Streicherpassagen mit der Dramatik der Bläser ab. Auch in den etwas weniger bekannten weiteren Sätzen des Werks zeigte das Orchester sein besonderes Können. So lud das Andante con moto zum Träumen ein und das Werk schloss vom dritten in den vierten Satz übergehend jubelnd und pompös.

Stilistisch im krassen Gegensatz zu Brahms und Beethoven, jedoch keineswegs weniger spektakulär, stand der letzte Teil des Konzerts: Das Publikum wurde Zeuge der Uraufführung des jüngsten Werks von Matthias Böhringer unter dem Titel „Sein“. Auf einem flimmernden Klangteppich des Orchesters trug der Chor zunächst unisono die Eingangsworte „En archê ên ho lógos“ vor. Und so mutet es geradezu schicksalhaft an, dass ausgerechnet hier in der Lutherkirche, dem Ort der Uraufführung, an der Kanzel im Altarraum die geläufige Übersetzung dieser Phrase „Im Anfang war das Wort“ geschrieben steht. Dies ist indes nur eine mögliche Interpretation des griechischen Textes, hat der griechische Begriff „lógos“ doch ein außerordentlich weites Bedeutungsspektrum. So bezeichnet er neben dem „Wort“ auch das geistige Vermögen und was dieses hervorbringt (wie „Vernunft“), ferner ein allgemeineres Prinzip einer Weltvernunft oder eines Gesamtsinns der Wirklichkeit. Diese Bedeutungen beschäftigen den Zukunftsforscher und Verfasser des Textes, Dirk Solte, der in seinem Text nach dem gleichnamigen Gedicht mit Mathematiker Wolfgang Eichhorn und Philosoph und Olympiasieger Hans Lenk versucht Verknüpfungen zu verschiedenen anderen Konzepten der Philosophie herzustellen und das lyrische Ich durch die Aufzählung verschiedener Begriffe sowie das Stellen kryptischer Fragen auf die Suche nach Erkenntnis schickt. Hierbei wechselten sich die Chorpassagen mit dem Vortrag eines Sprechers ab, dessen Part der Texter in der Uraufführung selbst inszenierte und dessen Interpretation vom Theaterschauspiel inspiriert anmutete. Der zentrale Begriff des Textes ist allerdings das „Denken“, und so mündete der innere Prozess des lyrischen Ichs schließlich, von Chor und Orchester sich im Klang unaufhörlich steigernd und – ganz im Stil des Komponisten – harmonisch spannungsvoll, in der Botschaft in lateinischer Übersetzung: „Cogitate!“. Wer sich selbst einen Eindruck vom Werk verschaffen will, findet die Aufführung auf YouTube:

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